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Begegnung mit Gabriela

von Antoinette Brem - Lebensgrund - Begleiten in Übergängen

Kürzlich durfte ich ihr wieder mal begegnen: Gabriela, meiner langjährigen Freundin.

Anfangs dieses Jahres ist sie vollständig erblindet. Die Erblindung kam für meine Freundin nicht überra-schend, sie hat sich seit langem darauf vorbereitet, vieles für sich oftmals durch buchstabiert. „Und doch“, erzählt sie, „alles ist ganz anders. Ich muss mein Leben völlig neu lernen.“

Sie berichtet mir, wie sie sich ein System erarbeitet hat, damit sie sich in ihrer Wohnung auch ohne Hilfe orientieren kann. Wie sie jeden Tag die ihr gesetzten Grenzen auslotet und sich darin neu erfindet.

Gabriela ist Künstlerin. Sie malt Bilder, farbige, ausdrucksstarke Bilder voller Lebenstiefe und Kraft. Ich schreibe bewusst ‚malt’ nicht ‚malte’. Denn auch dies hat sie in diesem Jahr gelernt: wie sie sich als blinde Frau weiterhin dem Spiel der Farben hingeben kann.

„Ohne den physischen Kontakt zu meinen Farben“, erklärt sie, „könnte ich keinen Tag überleben.“ Es gehe ihr dabei darum, die Glücksspur in sich weiter zu vertiefen, wie sie es bis anhin getan hat. Und es nicht zuzulassen, dass sich die Schreckensspur in ihrem Leben verbreitert.

„Dass unser Hirn diese Lernleistung vollbringen kann, ist für mich ungemein tröstlich“, sagt sie. Gabriela hält inne, sie schaut mich an mit ihrem unverkennbaren Blick (- wussten Sie, dass auch blinde Menschen einen Blick haben? –)

und fragt mich:

„Und, was hast du in diesem Jahr Neues gelernt?“

Eine wunderbare Frage, finde ich, und noch immer hallt sie in mir nach wie ein Echo aus tiefstem Seelengrund. Von dem Ort in mir, wo meine Sehnsucht berührt wird, auf dass ich, auf dass wir Neues lernen, um Schreckensspuren zu verlassen und „mit den Schatten ins Licht“ wachsen können (Isabella Schneider).

Wie gut passt diese Frage in die Adventszeit! Ist dies doch eine Zeit für Menschen, die noch nicht fertig sind mit dem Leben. Die noch etwas erwarten, ersehnen für diese Welt, für sich selber, mögen die Lebensumstände noch so widrig und spannungsvoll sein. „Wenn wir die Spannung zwischen den Polaritäten lange genug aushalten, so können wir zum Gefäss werden, worin das Göttliche geboren wird,“ hat die Jungianerin Marie-Louise von Frantz eimmal gesagt. Aushalten meint: annehmen, was sich reibt und herausfordernd ist. Sich dem stellen, was das Leben an einen heran trägt. Die Opferrolle verlassen.

Die Anstrengung auf sich nehmen, alte Gewohnheiten abzulegen und ganz neue Wege wagenGenau dies hat meine Freundin Gabriela getan. Sie ist mir darin zum Vorbild geworden. Ihre Frage hat in mir heilende Kräfte entfacht, mir eine vergessene Erkenntnis neu geschenkt. Wie tröstlich für uns alle, dass wir LERNFÄHIG sind: fähig Glücksspuren zu unserem Inneren, von Mensch zu Mensch, von Volk zu Volk zu legen. Ja, was habe ich, was haben Sie in diesem Sinne denn Neues gelernt in diesem Jahr?

Mit herzlichen Grüssen Antoinette Brem

Übrigens: in wenigen Wochen wird Gabriela’s Homepage www.mandelkern.ch erweitert um Bilder und Erfahrungen aus der Welt einer „Anderssehenden“.

Ein Besuch lohnt sich!

aus dem Newsletter Lebensgrund Dezember 2010

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